Tipp von Arnulf Rating: Wehe, wenn die Erde eiert

„Stresstest Deutschland“: Arnulf und die Rating-Agenturen


Deutschland, ein Tiefbahnhof: Arnulf Rating unterzog das ganze Land einem Stresstest, in der Disharmonie.
Foto: Uwe Eichler

Soviel Glück muss ein Kabarettist erstmal haben: Arnulf Rating bekam schon Unsummen angeboten, für seine Internetaddresse, von den „Namensvettern“ aus den Rating-Agenturen, sagt er. Der Kabarett-Veteran aus Berlin blieb standhaft.

Seltsam, wundert sich der gebürtige Westfale, dass diese Bonitätsprüfer alle aus einem Land stammen: Das wäre genauso, als wenn beim Sport eine einzige Nation Dopingkontrolle und Schiedsrichterrolle übernehmen würde — und dann ständig gewinnt. Um die Standfestigkeit der Schweinfurter gings nun in der Disharmonie, beim „Stresstest Deutschland“. Den führt ein Trio aus Schwester Hedwig, Dr. Mabuse und Ratings Alter Ego durch: im Auftrag des Bertelsmann-Konzerns, unter Führung der ehemaligen Telefonistin Liz Mohn (eine der drei „No Angels“ der Republik, neben dem ehemaligen Kindermädchen Friede Springer. Und natürlich Angela Merkel, Doktor am legendären Wissenschaftsstandort DDR — wo man den „größten Mikrochip der Welt“ gebaut hat. Helmut Kohl war immerhin so schlau, seine Doktorarbeit unter Verschluss zu halten).

Zwischendurch wird die Walküre Hedwig und der durchgedrehte Dr. Mabuse von seinen Auftraggebern abgesägt. Das Großkapital kauft sich stattdessen einen Wutbürger von der Protestbewegung „Deutschland 21“. Vorweihnachtsstimmung will da nicht so recht aufkommen. Überhaupt, ein Fest, in dem ausgerechnet Sarrazin-Deutschland die Geburt eines kleinen jüdischen Palästinserkinds unter prekären Verhältnissen, als Sohn eines Kopftuchmädchens, feiert? Die Flucht führt nach Ägypten: „Heutzutage nicht empfehlenswert.“

Der Wahl-Berliner rechnet vor, dass die anschließende Finanzkrise zehnmal soviel Geld verschlungen hat wie der zweite Weltkrieg (15 Billionen Dollar). Alles ist da auf dem Prüfstand, außer die Gehälter der Prüfer: „Ich will keine Riesterrrente“, klagt der ehemalige Wuppertaler, „Ich will Riesters Rente!“ Temporeicher Höhepunkt ist der Rückblick auf das Pressejahr 2011, mit einem Stapel Bild-Zeitungen im Koffer. Bin Laden wurde erlegt (die taz kommentierte mit „Laden-Schluß“), Guttenberg trat aus aus dem Merkel-Kabinett zurück („Mutti ohne Gutti“, spottete der Berliner Kurier).

Dazu kamen der grüne Terror durch Ehec-Gurken, ein siecher Euro oder Fukushima. „Früher hat man uns gesagt: Eine Kernschmelze kann nur alle 33 000 Jahre passieren“, knarzt da der Sarkast, im Oktober 60 geworden: „Ich habe das in meinem Leben auch nur siebenmal erlebt.“ Und Gutti? War da nicht was? Ach ja, viele große Seiten Rechtfertigung in der „Zeit“. Kein Wunder, meint der Kabarettist: Der in die USA exilierte Baron ist Mitglied bei den „Young Leaders“ der Transatlantik-Brücke: eine Seilschaft, zu der auch Zeit-Herausgeber Helmut Schmidt gezählt wird. Wenn bei dem Springer-Blatt mit den vier großen Buchstaben nicht gleich der Wahnsinn regiert: „Alle Horoskope falsch? Weil die Erde eiert.“ Oder: „Toter Barschel spricht bei RTL“. Genau.

Früher war Arnulf Ratings Jahresrückblick Garant für eine krachevolle Disharmonie, 2011 blieb der eine oder andere Platz leer: Auch Etablierte können sich ihrer Top-Bonität nicht mehr sicher sein. Wer kam, erlebte schnellen Wortwitz, rasante Rollenwechsel und scharfes, klarsichtiges Politkabarett alter Schule. Ganz ohne Stress.

Uwe Eichler

© Main Post (Schweinfurt), 07.12.2011