Kabarettistisches Trommelfeuer

Lutterbek - Natürlich ist die Hütte bis auf den letzten Hocker voll, wenn Kabarett-Urgestein Arnulf Rating im Lutterbeker zur Vorpremiere seines neuen Soloprogramms lädt: Schwester Hedwigs allerschwerste Fälle heißt es und hält von Anfang an, wofür der Name Rating seit nunmehr 30 Jahren bürgt.

Arnulf Rating als Schwester HedwigDie Assistentin für den tödlichen Witz: Arnulf Rating als Schwester Hedwig (Foto: Schaller)

Polemisches Politkabarett der durchdachten Sorte ballert der 56-jährige Rating in einem wahren Trommelfeuer ins begeisterte Auditorium. Da muss selbst Regisseur und St.-Pauli-Theater-Leiter Ulrich Waller noch laut mitlachen, während er auf einer der hinteren Bänke sitzt und sich die seltenen Rohrkrepierer seines langjährigen Weggefährten notiert. Die fallen dem Otto Normalzuschauer jedoch eh kaum auf; viel zu gewandt und hochgeschwind tobt das Bühnentier Rating durch den lächerlichen Ernst des Lebens, schlüpft in zahlreiche Rollen und macht deutlich, dass dem oftmals totgesagten Kabarett auch im 21. Jahrhundert der ätzende Odem des gnadenlosen Zeitkommentars durchaus noch einzuhauchen ist.

Jeder Promi aus Wirtschaft, Religion und Politik kriegt da sein politisch unkorrektes Fett weg, keine Krise und kein Skandal der letzten Zeit bleibt unbehandelt. Ob der Streit ums Regierungserbe Edmund Stoibers („Gammelfleisch im Trachtenanzug“), Schäubles Pläne, „das Internet rollstuhlfähig auszubauen“, oder Bischof Mixa („der trägt das Diaphragma ja als Symbol für seine Familienfreundlichkeit schon längst auf dem Kopf“) – Rating macht bei seinen wortwitzigen Streifzügen durch die unheile Welt der Nachrichten keine Gefangenen. Zur Seite steht ihm dabei nicht bloß besagte Schwester Hedwig, Sprechstundenhilfe in der Praxis Spreebogen, sondern obendrein eine ganze Großfamilie aus BKA-Beamten, Bundeswehr-Anwerbern, Kardinälen und, und, und. Gemeinsam verschafft man sich Antworten auf Fragen wie: Warum sollte man die Bundeswehr nicht auch für islamische Soldaten öffnen? „Dann könnten endlich auch wir für den Märtyrertod in Afghanistan 72 Jungfrauen versprechen!“ – Aber warum erst in die Ferne schweifen, wenn das Elend liegt so nah? Verkehrsminister Tiefensees Plan, Hartz-IV-Empfänger zur Terrorabwehr auf deutschen Bahnhöfen einzusetzen, hat für Rating etwas durchaus Logisches: „Die wissen doch am besten, wie es ist, wenn der Zug abgefahren ist.“ Und was die Gesundheitsreform betrifft: „Wieso braucht ein älteres Ehepaar eigentlich zwei Gebisse?“ Fassen wir also zusammen, Schwester Hedwig: Kabarett-Operation gelungen, Patient Deutschland… fast tot.

Jens Raschke

© Kieler Nachrichten, 02.10.2007