Ratings wüste Wütereien

Politkabarettist Arnulf Rating ließ im Lutterbeker keinen ungeschoren

Der Mann weiß, wie man Komplimente macht. „Ich fühle mich wohl, wo die Leute alt aussehen“, begrüßte Arnulf Rating das Publikum im gut besuchten Lutterbeker, „da fühlt man sich selbst doch gleich viel jünger.“ „Reich ins Heim“ (Regie: Uli Waller) heißt das neue Programm des Berliner Politkabarettisten, mit dem er eine viel beklatschte Vorpremiere feierte.

Von Beate Jänicke

Doch nicht nur die Überalterung in der schwächelnden „Deutschland AG“ stand an diesem Abend auf der Kabarett-Agenda. Rating kam, knöpfte sich das politische und gesellschaftliche Geschehen in Berlin und Restdeutschland der vergangenen Monate vor und textete gut zwei Stunden lang alles und jeden in Grund und Boden. Der Führungsstreit zwischen Schröder und Merkel, für ihn ein Zank zwischen Kleinkindern, denen er empfahl, sich im Karussell ein Spielauto mit zwei Lenkrädern zu teilen: „Der Antrieb kommt sowieso woanders her.“ Das Erdgasgeschäft zwischen Deutschland und Russland kommentierte er knapp: „Gas spielte schon immer eine große Rolle in der deutschen Außenpolitik.“

Polemisch, ätzend, böse fielen seine Analysen aus. Ein fulminantes satirisches Feuerwerk. Wer da nicht aufpasste, fühlt sich irgendwann geradezu erschossen von den prasselnden Pointen. Andere Kabarettisten hätten für diese rasant präsentierte Fülle gut das Doppelte an Zeit gebraucht.

Auch eine Rahmenhandlung hat das neue Programm: Lutterbek, marode und in die Jahre gekommen wie die gesamte Republik, soll saniert werden. Aber wie? Ein schräges Expertenteam, das Rating mit wechselnden Brillengestellen verkörpert, beschließt, den Ort zu fluten oder wahlweise in ein Event-Altersheim zur verwandeln. Versiert klamottig karikiert Rating die Sanierermeute von aalglatt bis schwafelig; für den perfekten öffentlichen Auftritt sorgt eine handfeste Rotkreuzschwester (wiederum Rating), die die abgehalfterten Typen hinter den Kulissen fit spritzt.

Großartig auch Ratings Auftritt als wutschnaubender, abgewählter Atlinker der Grünen. So machtgeil, so egomanisch berserket er über die Wahl der „aufgebrezelten Ostschnalle“ zur Regierungschefin und damit sein eignes Karriere-Aus. „Nur weil ich ein Mann bin, weiß, hetero, ohne große Behinderung und jüdische Großmutter, komme ich nicht in den Diskriminierungsausschuss, den ich selbst gegründet habe“, tobt er und entlarvt, dass Frauen- und andere Feindlichkeiten wahrlich keine alleinige Domäne der Konservativen sind.

Das Diffizile bei Arnulf Rating und damit sein großes Verdienst ist es, dass er es keinem leicht macht im Publikum. Außer vielleicht jenen, die die wüstesten Attacken am heftigsten umjubeln und gar nicht merken, wie sie auf den kabarettistischen Leim kriechen.

© Kieler Nachrichten, 16.10.2005