Rasant und ätzend


Mit Nadelstreifen und rotem Einstecktuch: Kabarettist Arnulf Rating hielt am Samstag im Geislinger Schlachthof zweieinhalb Stunden lang die Gäste in Atem.
Foto: Christoph Wolfinger

Geislingen. „Aufwärts“ gehe es, behauptete Arnulf Rating am Samstag bei der Rätsche im Geislinger Schlachthof. Das hielt den Kabarettisten nicht davon ab, die Verantwortlichen der Republik mit Häme zu übergießen.

In Stuttgart gings los. Keimzelle des „Wutbürgers“, Ausgangspunkt einer weltumspannenden Umsturzbewegung, die sich in Ägypten fortsetzte — und das alles wegen eines Bahnhofes. Dabei wären alle froh, an Stuttgart unterirdisch vorbeifahren zu dürfen — mit seinem Kehrwochenelend… „Aufwärts“ nennt Arnulf Rating — mit 59 Jahren und über 30-jähriger Bühnenerfahrung gerne als „kabarettistisches Urgestein“ bezeichnet — sein 9. Solo, mit dem er am Samstag im Geislinger Schlachthof zweieinhalb Stunden lang die Gäste in Atem hielt.

Ein Jahr politische Unfähigkeit, In-die-eigene-Tasche-wirtschaften, Lobbyismus, Konsum, Kotze aus der Glotze, aber auch Natur- und andere Katastrophen hechelt der Berliner in affenartiger Geschwindigkeit durch, analysiert messerscharf, hackt alles in überschaubare, mundgerechte Stücke und überzieht es mit ätzender Häme, bevor er es den Gästen im gut gefüllten Schlachthof serviert.

Gut, was will man erwarten von einem Land, das Menschen regieren, mit denen auf dem Schulhof niemand spielen wollte und in dem eine Kanzlerin regiert, die vor zwanzig Jahren das erste Mal mit einer Banane in Berührung gekommen ist? Immerhin hat sie jetzt eine ganze Republik daraus geformt. . . Rating agiert mit vollem Körpereinsatz, redet sich in Rage, schlägt sich vor die Stirn, geht in die Knie, schlenkert seinen nadelbestreiften Körper. Finanzkrise? Das war damals, als sich Porsche keinen VW mehr leisten konnte. Schuld waren die Analysten — Betonung auf der ersten Silbe.

Rating mag Sprachspielchen und skizziert und karikiert mit ihnen sehr präzise gesellschaftliche Bilder. Arztbesuche bei Dr. Mabuse etwa oder die Vernissage im schicken Friedrichsau, dem Ort mit dem höchsten Latte-Macchiato-Faktor der Welt, bei der der Künstler die Installation eines abgebrannten, nagelneuen Porsche Cayenne vorstellt. Damit verdrängt Rating kurzzeitig das düstere Bild, das er von unserer Zukunft zeichnet: das einer aussterbenden Gesellschaft, deren Mumienschlepper auf ölverseuchten Meeren („BP hat vergangenes Jahr versucht, den Golf vollzutanken“) einsam dahindümpeln.

Zur Hochform läuft er nach der Pause auf. Seine Waffe sind Überschriften aus Tageszeitungen, zumeist aus der mit den vier großen Buchstaben. Auf beide Arme gestapelt knallt er den Schlachthofgästen Schlagzeile um Schlagzeile um die Ohren, rasant runtergespult, trocken kommentiert.

EVA BECK

© SÜDWEST PRESSE, 02.05.2011