Friedrichshafen

Furios durch den Ganzjahresfasching

Kabarettist Arnulf Rating brilliert im Kiesel im K 42 mit Themen aus Politik und Gesellschaft

Geht es in Deutschland aufwärts oder abwärts? Auf dem Plakat von Arnulf Rating geht es abwärts, bis in die Kanalisation. Warum das so ist, das zeigt der aus Mülheim an der Ruhr stammende Kabarettist am Donnerstagabend im Kiesel im K 42 in rhetorischer Brillanz auf. In erregter Wortgewandtheit und rasantem Sprechtempo jagt Rating in seinem sarkastischen Programm „Aufwärts” durch sämtliche brisante Themen der Gesellschaft und Politik. Mit einer schier nicht zu überbietenden Geschicklichkeit reiht er ein Thema an das andere und deckt dabei schonungslos die Unzulänglichkeiten im Lande auf. Treffsicher und mit beißendem Spott bohrt Rating Spitze um Spitze ins marode System und erheitert sein Publikum am laufenden Band mit geistreichem Sprachwitz und skurrilen Wortschöpfungen. Eine solche ist zum Beispiel „Analysystem“: Entscheidend ist, was am Ende hinten herauskommt, bei Kohl war es Angela Merkel, auch für Rating eine dankbare Vorlage für kabarettistische Karikaturen: Überall sei sie persönlich für uns im Einsatz, auch bei den Piraten, wo sich – herrliches Wortspiel – die Fregatte von Mecklenburg-Vorpommern vorbei schob. Überhaupt herrscht Kabarett im Kabinett, aber schlechtes, oder: Ganzjahresfasching ohne Kostüm. In der Politik sitzen offenbar Leute, mit denen wollte schon in der Schule keiner spielen. Um an Wähler heranzukommen, plädiert Rating für eine Service-Hotline: Entschuldigung, ich hab' mich verwählt. Gekonnt schafft Rating den Brückenschlag zwischen wachrüttelndem Anprangern und witzigem Sezieren der Mängel.

Beeinflussen die Ereignisse auch das Wetter? Schneesturm am Frühlingsanfang, weil Kachelmann fort ist, anhaltender Regen, als Koch nicht zurücktrat, doch seit Köhlers Rücktritt scheint die Sonne wieder. Die Finanzkrise am Beispiel Schiesser: Das ging in die Hose. Opel hat mehr als nur ein Rad ab und Porsche kann jetzt nur noch VW fahren. Rating hat auch Tipps parat: „Kaufen Sie jetzt, in der Krise macht man Vermögen.” Wie sieht es mit dem Gesundheitssystem aus? Es ist selbst krank. Und am Arbeitsplatz wird heute keiner mehr krank, sonst ist der weg und in vier 400-Euro-Jobs aufgeteilt. Früher hieß es nicht: Was haben Sie, sondern wo wollen Sie hin? Nach Mallorca mit Migräne, auf die Philippinen mit einer Eierstockentzündung. Auch die Twitter-Flut nimmt Rating auseinander, wo über ein Ereignis schon fünf Minuten, bevor es passiert, zu lesen ist oder das Fernsehprogramm: die Kotze aus der Glotze. Wie Rating eine Sammlung von Bildzeitungsüberschriften triefenden, sensationsheischenden Inhalts kommentiert, ist gleich doppelte Komik. Überschäumend virtuos persifliert er eine Vernissage und die „eruptive” Kunst eines ausflippenden Künstlers. Wer Rating folgen will, muss konzentriert zuhören. Hin und wieder fällt dennoch eine Pointe seinem Sprechtempo zum Opfer. Doch sein furioser, von analytischem Scharfsinn geprägter verbaler Rundumschlag ist nicht allein sprühende Unterhaltung, sondern Impuls gebender politischer Unterricht. Ratings letzte Häme: „Hätten Sie getwittert, hätten Sie es fünf Minuten früher gewusst.”

© SÜDKURIER, 12.06.2010