Für Mallorca reicht Migräne

29.04.2010 — ORTENBERG

Arnulf Rating, Schwerarbeiter des Kabaretts, im Fresche Keller

Elfriede Maresch. Ausverkauft war der Fresche Keller — wieder stand ein fulminanter Abend in der Reihe Kabarettigkeiten, gesponsort von der Sparkasse Oberhessen, bevor. Mit einem Willkommen an „Ortenberg, wo man zum Lachen in den (Fresche) Keller geht“, betrat Arnulf Rating die Bühne. „Aufwärts“ lud er die Zuhörer in seinem neuen Programm ein, und dass es aufwärts geht in diesem Land, wies er lückenlos und brandaktuell nach.

Wir sind vereint, die Arbeitslosen werden gefordert und gefördert und mit der Erderwärmung haben auch sie ein Plätzchen an der Sonne: „Wir haben hart dran gearbeitet — was sind wir dafür Auto gefahren!“ Schonungslose zeichnet er die Krise nach: „Bei Opel war mehr als ein Rad ab, bei Rosenthal das Porzellan zerschlagen, Porsche konnte sich nicht mal mehr ’nen VW leisten...“

Ist der verdienstvolle „Schwerarbeiter des deutschen Kabaretts“ nach 30 Jahren Einsatz leise, nachdenklich, verhalten geworden? Kein Stück: Eine gnadenlos treffende Pointe folgt der anderen, kein Werte beschwörender Politiker ist vor Rating sicher. Können wir ihnen noch vertrauen? Sagte doch Angela Merkel: „Unsere Einlagen sind sicher!“ Auf die Frau ist rundum Verlass, das zeigt eine aktuelle Meldung: „Als deutsche Urlauber am Horn von Piraten bedroht waren, schob sich die Fregatte ‚Mecklenburg-Vorpommern‘ dazwischen!“ Niemand entgeht Ratings Pointen-Staccato: nicht Obamas Gesundheitsreform („Das bißchen hätte Ulla Schmidt auf der linken Arschbacke durchgedrückt!“), nicht unsere Kanzlerin („Vor 20 Jahren noch nicht mal ’ne Banane gesehen und jetzt eine Bananenrepublik!“) und nicht der Außenminister („Toyota hat doch auch ’ne Rückrufaktion durchgezogen...“). Spontanapplaus des Publikums bei der Frage: „Was ist das für ein Land, wo der Hoffnungsträger Guido Westerwelle heißt?“ Gut — dank des „Schweigegeldes Abwrackprämie“ lassen wir die Krise still über uns ergehen. Seufzt Rating aus tiefster Seele: „Ich würde ja so gern mal einem Politiker die Meinung sagen, aber mir fehlen eben 20 000 Euro!“

Also Flucht ins Innerliche? Kann man so nicht sagen. Auch wenn Rating als Ein-Mann-Ensemble das Personal seiner kleinen Welt auf die Bühne zaubert, trifft er auf Deutschlands Befindlichkeiten. Krank machen ade, sonst ist der Arbeitsplatz futsch. Vorbei die Zeiten, als er einfach zu seinem Hausarzt Dr. Mabuse ging und sich Urlaub auf Krankenschein holte. Schwester Hedwig war serviceorientiert wie immer: „Wo soll’s denn hingehen? Für Mallorca reicht Migräne, für die Philippinen müssen’s schon Salmonellen sein!“ Jetzt muss man — wenn überhaupt — zu Quartalsanfang krank werden. Das Budget ist knapp, gnadenlos schickt Schwester Hedwig Fiebernde weg: „Sie hätten sich früher anstecken sollen!“ Und so schleppen sich deutsche Arbeitnehmer voll gepackt mit Tabletten zum Arbeitsplatz: „Im Sport wären sie wegen Doping rausgeflogen!“ Eine Persönlichkeitsspaltung in Turbo-Geschwindigkeit auf der Bühne: Rating hat eben seine gnadenlose Abrechung mit unseren Neuen (a)sozialen Marktwirtschaft begonnen, da schaut ihm sein Alter Ego mit mildem Tadel über die Schulter: Warum Hass und Hetze? Überall ist der Wechsel zum Besseren angekommen, selbst in den USA. Und der „echte“ Rating grummelt: „Hoffentlich ist der Wechsel gedeckt!“

Und wieder eine Metamorphose in Sekundenbruchteilen: Rating ist jetzt der abgehobene Betreiber einer Szene-Galerie in Berlin-Friedrichshain, zugleich Kulturredakteur und Drehbuchautor für Richterin Barbara Salesch und ein durchgeknallter Künstler, der eine Installation (Sand, Straßenlaterne, abgebrannter Porsche Capri) präsentiert. Da fliegen die Shrimps an die Wand, da gehts zur Sache…

Noch ein paar Lebenhilfe-Tipps für die Zuhörer: „Wir müssen uns selbst aus der krise herauskaufen! Jetzt investieren! In der Krise werden die Vermögen gemacht!“ Das Wort des Kabarettisten ist von Gewicht: „Ich bin eine der ältesten Rating-Agenturen der Bundesrepublik!“

© Kreis-Anzeiger, 29.04.2010