Mit Rolltreppe ab in Kanal

Von Ulrike Schäfer

KABARETT   Wortgewandter Vielredner Arnulf Rating analysiert Standort Deutschland auf seine Art


„Warum bleibt es so ruhig in diesem Land?“, fragte sich Arnulf Rating und machte sich dazu seine ganz eigenen Gedanken. pa/Balzarin

„Aufwärts“ heißt das neue Programm von Arnulf Rating. Doch das witzige Plakat, das die Veranstaltung ankündigt, straft jeglichen Optimismus Lügen. In Wirklichkeit geht die Reise abwärts, mit der Rolltreppe direkt in die Kanalisation oder die Sintflut. Zwei Stunden lang analysierte der wortgewandte Vielredner im Lincoln-Theater den Standort Deutschland und hatte so viel dazu zu sagen, dass er auf Rollenspiele und Requisiten fast vollständig verzichten konnte. Selbst seine „Schwester Hedwig“, Kultfigur früherer Auftritte, wurde nur ganz kurz bemüht, und das auch ohne Zöpfe und Riesenbusen: Sie musste lediglich ihren Senf zum Thema Gesundheitswesen geben. Beibehalten wurde der bewährte Blick auf die Schlagzeilen der Bild-Zeitung, ein wahres Panoptikum deutscher Befindlichkeiten, bei dem sich mancher zusätzliche Gag vorzüglich unterbringen ließ.

Die große Frage, die Arnulf Rating immer wieder stellte - und sie war ganz und gar nicht rhetorisch gemeint: „Warum bleibt es so ruhig in diesem Land? Warum machen die Leute das alles eigentlich mit?“ Ob sie gedopt seien von den Medikamentenrückständen im Trinkwasser, grübelte er. Denn klar war für ihn, dass die Bankenkrise von den Bürgern bezahlt werden muss, und das gleich doppelt. „Solidaritätszuschlag für die asoziale Marktwirtschaft“ nannte er das.

Der gebürtige Ruhrpötter beschäftigte sich mit der Abwrackprämie, mit den „Mindestlohnforderungen“ von Managern („Die sind es, die unsere Wirtschaft kaputt machen“), mit der Angst der Deutschen, krank zu werden („Der Chinese greift nach unseren Jobs“) und mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze („Eine feste Stelle wird in vier Mini-Jobs umgewandelt“).

Doch so offensichtlich die Missstände sind: Auch die „erruptive Kunst“, sprich der Wutausbruch eines Installationskünstlers kann das selbstgerechte Vernissagepublikum (herrlich persifliert), das sich an allen Ecken und Enden dumm und dämlich verdient, nicht aus der Ruhe bringen.

Bei aller Kritik an Merkel, Westerwelle & Co hat der einfallsreiche Kabarettist auch einige gute Rezepte auf Lager. Frappierend etwa ist die Idee der Steuerlotterie, an der sich alle beteiligen, weil jeder gewinnen kann, oder die Überlegungen zur Verschlankung des Staats durch Outsourcing: während die Bertelsmann-Stiftung das Fachliche macht, beantwortet ein Call-Center in China die Fragen der Bürger, was allerdings ein bisschen ins Auge gehen kann. Schließlich hatte der clevere Kabarettist auch noch gute Tipps für erfolgreiche Wählerbindung parat. Wie schwer es der Wähler wirklich hat, das Profil von Parteien und Politikern auszumachen, führte Rating bei der heftig erklatschten Zugabe vor. Schade, dass es keine Kennzeichnungspflicht für Parteien gibt und keine Prüfung durch die Stiftung Warentest, meinte er. Wenigstens aber müsste auf dem Wahlzettel doch eine Hotline stehen, wo man anrufen und sagen könnte: „Entschuldigung, ich habe mich verwählt“.

© Wormser Zeitung, 12.04.2010