„In der DDR ging es auch immer aufwärts“, meint Arnulf Rating. „Und
genauso“, sagt er, „ist es auch heute. Meinen zumindest die Politiker“.
Für jene, die den Karren aus dem Dreck ziehen müssen, trifft das allerdings
nur selten zu.
Biber: „Aufwärts“ heißt ihr neues Programm, inspiriert von der derzeitigen
Wirtschaftskrise und dem Klimawandel. Wo, wie und wann bitteschön geht
es Ihrer Meinung nach „aufwärts“?
Rating: Das ist ja die Stimmung, mit der wir durch alle Krisen gezogen
werden : Es geht aufwärts mit der Wirtschaft. Leider trifft das für
viele einzelne Menschen aber nicht zu. In der DDR ging es auch immer
aufwärts. Das war nur sehr mühsam für jene, die den Karren ziehen mussten.
Und das ist heute genau so.
Biber: Ist das Ihre Antwort auf Panikmache und schlechte Stimmung?
Rating: Wir im Kabarett sind ja für die Stimmung verantwortlich. Zumindest
abends. Und die ist gut, wenn wir das Maul aufmachen.
Biber: Sie haben kürzlich mal gesagt : „Ich möchte, dass die Leute
mit erweitertem Bewusstsein und nasser Hose aus meinem Programm kommen.
„Das sind hohe Erwartungen an das Publikum.
Rating: Ich bin sicher, dass das Magdeburger Publikum diese Erwartungen
erfüllt. Die letzten beiden Male, als ich hier war, hat es vor ausverkauften
Häusern sehr gut funktioniert. Was da passieren kann, hat Wiglaf Droste
einmal in einer Kritik „Bewusstseinserheiterung“ genannt.
Biber: Sie analysieren oder gar sezieren Deutschland scharf und
böse bis ins Detail. Wären Sie ein besserer Politiker?
Rating: Nein. Was machen Politiker? Sie machen Kompromisse und lügen.
Beides kann ich nicht so gut. Der Job beim Kabarett ist es, genau das
Gegenteil zu tun : Kompromisslos die Wahrheit sagen. Das macht mir
Spaß. Und ich kann leider nur das, was mir selber Spaß macht.
Biber: Ihre Wutausbrüche und Provokationen der Siebziger, funktionieren
die heute genauso noch?
Rating: Nicht immer. Die Gesellschaft, die Politik, ist abgebrühter
und gerissener. In gewisser Weise auch gleichgültiger. Ein paar Tote
bei inneren Unruhen in Thailand schaffen es ja nicht mal auf die Titelseiten
unserer Zeitungen, wenn sich ein Fußballer den Fuß verknackst hat.
Provokation steckt heute mehr im Detail und wirkt subtiler.
Biber: Was treibt Sie an, Kabarett zu machen?
Rating: Mein Arzt hat mir das verordnet. Ich soll den Ärger rauslassen,
sonst geht er aufs Herz. Meine Familie hört mir schon nicht mehr zu.
Aber beim Kabarett zahlen die Leute sogar dafür. Ich nehme diesen Auftrag
ernst und gebe wertvolle Anlagetipps : Investieren Sie in Humor. Das
lohnt sich. Das sage ich als eine der ältesten Rating-Agenturen in
Deutschland.
Biber: Wollen Sie ein wenig die Welt verbessern?
Rating: Das wollen ja immer die Politiker. Zum Beispiel Westerwelle.
Der wollte immer Steuersenkungen. Dabei hat er das Steuer gar nicht
in der Hand, und jetzt sinkt er selber. Das Scheitern solcher Politclowns
erheitert. Und das macht die Welt etwas fröhlicher. Im Sinne solcher
Freuden will ich die Welt gerne verbessern.
Biber: Sie sind zwei Stunden allein auf der Bühne. Haben Sie nach
über dreißig Jahren Bühnenauftritten noch Lampenfieber?
Rating: Der K ick besteht darin, jeden Tag in einer sich wandelnden
Welt vor immer anderen Menschen voll da zu sein. Wenn ich die Herausforderung
nicht mehr spüre, habe ich wahrscheinlich kein Lampenfieber mehr. Dann
höre ich auf.
VITA
Arnulf Rating, 1951 in Mülheim an der Ruhr geboren, ist Kabarettist.
Seit 1993 tritt er mit Soloprogrammen auf. Anhand von besonders markanten
Zeitungs-Schlagzeilen kommentiert er meist das aktuelle Zeitgeschehen.
© Volksstimme, 27.05.2010